Montag, 21. November 2016

100 Meilen durch Afrika: Die Diagonale der Verrückten


Keine Insel der Seligen: La Reunion wartet mit einem Lauf auf, den nur wenige Sportler wagen. 
Robert Riesinger hat es getan. 

La Diagonale des Fous, 167km und 9700 Höhenmeter

Gastbeitrag von Robert Riesinger



Der Urgedanke wurde schon im Jahre 2010 geschmiedet. Mein Freund Dominik Aichinger hatte mir von diesem Klassiker auf der Insel La Réunion erzählt. Es wäre nach vielen anfänglichen Streckenänderungen nun ein wirklicher „100 Meiler“ geworden und er würde im Oktober in den Indischen Ozean fliegen, um dort teilzunehmen. Mein Gefühl hatte mir damals aber gesagt, dass für mich die Zeit für solch eine exotische Unternehmung noch nicht gekommen war.

Die Basisdaten dieses Ultra-Trails sind beeindruckend: 167 km Distanz – 9700 Höhenmeter  und das in Äquatornähe auf 21° südlicher Breite östlich von Madagaskar.

Heuer im Frühling war es nun wirklich aktuell, darüber nachzudenken. Aber es ist bekannt, dass es dort zwei Arten von Krankheiten gibt: das Dengue- und das Chikungunya-Fieber. Weiters dürfen bei diesem Wettbewerb keine Stöcke verwendet werden und in der heißen Klimazone liegt er sowieso.
 Also einige Gründe, die Zweifel über die Sinnhaftigkeit aufkommen ließen. 

 Diesen Zweifeln standen aber jene Punkte, die dafür sprachen, gegenüber: einer der weltbegehrtesten 100 Meiler in einer mir völlig unbekannten Gegend, die schon seit langem erforscht werden müsse. Meine Konsequenz dieser Gegenüberstellung war: Wer wagt, gewinnt und schon hatte ich mir mit dem Mouse-Click der Anmeldung ein Geburtstagsgeschenk in diesem Februar gemacht.

Der Streckenplan

Dreitausend Meter hohe Vorbereitung

Der Zeitplan für die Vorbereitungen auf der Insel war großzügig. Wir hatten eine Woche , um uns entsprechend zu adaptieren. Zeitverschiebung gab es nur 2 Stunden, somit war das Thema „Jetlag“ keines; wir machten in den ersten Tagen Trainings- Trail-Läufe, unter anderem auf den höchsten Berg der Insel, dem „Piton des Neiges“ mit seinen 3070 m an Höhe.

Auf dem Gipfel des Piton des Neiges

Bei diesen Trainingsläufen waren schnell einige Eigenheiten dieser Gegend erkennbar: scharfkantiges Lavagestein, feinkörniger Staub, welcher einerseits eine Rutschauflage bilden kann und andererseits in das Schuhwerk eindringt und somit eine Blasenbildung begünstigt – und besonders in tieferen Lagen die tropische Hitze. Wenigstens wussten wir darüber vorab Bescheid …


Nun wurde es schön langsam spannend. Am Mittwoch fuhren wir nach St. Pierre, jener Stadt, in welcher einen Tag später der Start stattfinden würde. „Distribution des dossards“, also Startnummernausgabe. Man merkt, dass Veranstaltungsprofis am Werk waren – schließlich war es das 24. Mal. Das Teilnehmerfeld war sehr international – 37 Länder waren vertreten; von den 2562 Startern kamen 95 % aus frankophonen Ländern - deshalb lief auch die gesamte Organisation in französischer Sprache ab.

Es war schön, so viele begeisterte Leute aus aller Herren Länder in ihrer Erwartungshaltung zu erleben….; Einerseits gab es einen ganz offiziellen Teil mit Identifikation und Überreichung der für den Bewerb zu verwendenden T-Shirts, Responders, Dropbag-Säcken….andererseits war es ein richtiges Fest mit all den vielen Ständen mit Warenmuster und viel kreolischer Musik.

Den Nachmittag verbrachten wir noch in einer wunderbar malerischen Umgebung im Süden der Insel:  den Wasserfällen „Cascade de la Grand Ravine“.





Das Abenteuer beginnt

Am Donnerstag, um 19:30 Uhr war´s dann wirklich soweit: Aufbruch nach St. Pierre – mit all den feinst  vorbereiteten Utensilien; alles war genau an seinem Platz….in der linken Seitentasche im Laufrucksack dies, in der rechten jenes, im Dropbag „Silaos“ frische Socken, im Dropbag „Sans Souci“ ein zweites Paar Schuhe, nur für den Notfall … Um 20:30 Uhr waren wir da, hatten aber noch an die zwei Kilometer zu gehen, da bei so vielen Teilnehmern weiträumig abgesperrt werden musste. Langsam versammelten sich die Leute vor dem Start. Und wiederum spielten Bands und auch im Startauslauf bildete sich eine große Zuschauermenge – schließlich ist der Grand Raid die größte Sportveranstaltung des Jahres auf der Insel.


Pünktlich um 22:00 fiel der Startschuss und die Menge setzte sich in Bewegung. Die begeisterten Fans links und rechts der Straße wollten einfach nicht enden – waren wir doch sicher schon drei Kilometer gelaufen. Dann ging´s leicht bergauf ins Gelände, vorbei an Zuckerrohrfeldern. Schön langsam bildete sich eine aufgefädelte „Lichterkette“ an Läufern; zuvor waren ja wegen der Startdichte noch einige Läufer nebeneinander gelaufen. In dieser Manier ging´s in die Nacht rein und es wurde ruhiger – bis zum ersten Checkpoint, wo wieder richtig die Hölle los war:

 „Domaine Vidot“. Ich war sehr zufrieden, als ich dort um 23:36 Uhr registriert wurde. Nun hatte ich Gewissheit, dass auch alle meine Mitverfolger des Rennens an den PC-Schirmen wussten, dass ich den ersten Teil gut überstanden hatte und das Abenteuer im Gange ist. Es wurde immer kälter und bald war die Jacke anzuziehen – schließlich war der Piton Textor mit seinen 2165 Metern der zweithöchste Punkt der gesamten Strecke.

Den ersten Sonnenaufgang im Rennen erlebte ich die Strecke vom Piton Textor runter in Richtung „Mare á Boue“, einer recht grünen Almlandschaft – war es doch zuvor recht trocken und die Wege stark verstaubt. Diese Landschaft war vertrauter, die Luft angenehm kühl und sauber, der Morgentau lag im Gras - einzig störend war der stets am Wegrand präsente Stacheldraht, manchmal sogar an beiden Seiten des Weges. Ein kleiner Rempler konnte schon eine zerrissene Jacke oder gar einen aufgerissenen Unterarm bedeuten.


Hirschtalg und der Laufalltag

Nach dem Checkpoint „Mare à Boue“ gings wieder bergauf  nach Coteau Kerveguen, mit einer Höhe von 2206 m dem höchsten Punkt der gesamten Strecke entgegen. Hier war es wiederum recht kühl und die Jacke und eine leichte Haube gefragt. Die meisten der Läufer aus Réunion hatten  sogar Handschuhe an. Danach ging´s steil bergab – hinein ins Zentrum des „Cirque de Cilaos“, dem heißersehnten Zwischenziel, dem Städtchen Cilaos (67 km) entgegen. 

Hier konnte man den ersten Dropbag entgegennehmen, es gab warmes Essen, Massage und medizinisches Service. Knapp vor Cilaos war David Czuprina - ein mir bekannter Belgier-aufgeschlossen und wir rannten eine Weile lang zusammen. Es war angenehm, mit einem Bekannten ein paar Erfahrungen und Einschätzungen für vor uns liegende Strecke auszutauschen. In Cilaos wurden die Füße mit Hirschtalg neu eingeschmiert, Socken gewechselt, einige Becher Nudelsuppe geschluckt und auch einmal wirklich gerastet-genau 30 Minuten für alles zusammen waren eingeplant und wurden auch präzise gehalten.

Das Städtchen Cilaos liegt mitten in einem Talkessel in einem vor 100 000 Jahren erloschenen Vulkan auf 1200 m Seehöhe, hat moderat tropisches Klima und man möchte am liebsten dort bleiben. Doch die Wirklichkeit sah anders aus: etwa 40 % waren geschafft und genau 100 km mit knapp 6000 Höhenmeter lagen noch vor uns.

Zeit für Schlaf

Um 11:00 Uhr ging´s weiter – in ein Tal runter auf unter 1000 Meter, eine Flussquerung und dann den Gegenhang wieder hoch. 1000 Höhenmeter waren in der brütenden Mittagshitze zu machen. Die ersten Opfer waren neben der Wegstrecke, ein Schattenplätzchen aufsuchend, apathisch dasitzend, anzutreffen. Hier war meine Devise: einen Gang zurückschalten ,aber weiterkämpfen. Bald war die Passhöhe „Col de Taibit“ erreicht und es ging runter nach Marla. 

Dieser kleine Ort im Cirque de Mafate war mir sehr sympathisch: die Hälfte war schon knapp erreicht und es war ein bisschen kühler, da der Ort etwa auf 1600 Meter Seehöhe liegt. Ich fühlte mich schon unkonzentriert und müde und es war Zeit, mich mal für eine Stunde hinzulegen. Ein Zelt mit provisorischen Liegeplätzen war vorhanden und Platz war auch – war ich zu diesem Zeitpunkt doch schon vorne im ersten Fünftel der gesamten Teilnehmer auf Position 462. Diese Entscheidung war goldrichtig gewesen und nach diesem Schlaf fühlte ich mich wieder stark. Weiter ging´s noch ein Stück bergab, der Weg war gesäumt von unzählig vielen Pflanzen, die zuhause liebevoll in Blumentöpfen gezogen werden: den Callas


Nun ging´s wieder ein paar hundert Meter bergauf, eine enge, stark verwachsene Felsklippe weiter und es begann zu dämmern. Die Stirnlampen wurden wieder aufgesetzt und rein ging´s in die Nacht, ohne wirklich viel Notiz zu nehmen, wo wir uns da genau bewegten. Sentier Scout, Ilet à Bourse, Grand place ècole und schließlich Roche plate hießen die im Dunklen liegenden Orte, welche Checkpoints und Labestellen waren. 

Diese Labestellen waren generell im doppelten Sinne Laben – einerseits gab es viel zu Essen, so etwa Brote, Kekse, Datteln, Äpfel, Orangen …und auch zu trinken (Wasser, Cola und eine Eigenheit auf Réunion: alkoholfreies Malzbier), aber eine Labe war´s auch im moralischen Sinne: die Freiwilligen an den Laben waren extrem nette Leute, die einem stets aufmunternde Worte zuriefen „Courage…., allez Robéeeer,……“. 

In Roche plate, wo ich um 00:13 einlief, und wiederum 1000 Höhenmeter vor mir hatte, entschied ich mich für ein weiteres Nickerchen auf  etwa eine Stunde Dauer. Kaum liegend, verfiel ich in einem Tiefschlaf und es wundert mich noch heute, dass ich nach 1 ¼ Stunde wieder munter wurde – ich hatte mich darauf regelrecht programmiert. Die nun folgenden 1000 Höhenmeter steiler Anstieg  waren in  90 Minuten erledigt und ich stand auf dem Maido auf knapp 2100 Meter. Dies war die letzte größere Höhe gewesen. Nun ging´s bergab nach Sans Souci, der zweiten Zwischenstation bei Kilometer 125 - allerdings dazwischen gab´s immer wieder kurze steigende Abschnitte. Knapp vor Sans Souci begann es nun das zweite mal zu dämmern und ich hatte richtig Biss und Konzentration – diese schon öfter gemachte  Erfahrung liegt  offenbar in den biologischen Kräften eines beginnenden Tages.


Sans Souci war wiederum eine sehr gut organisierte, große Labestelle mit allen Services. Wiederum war eine halbe Stunde Aufenthalt geplant, aus welcher aber eine Dreiviertelstunde wurde, denn eine aufkommende Blase musste verarztet werden – lag doch noch genau eine Marathonstrecke vor mir, für welche ich mir möglichst gute Voraussetzungen schaffen wollte. In Sans Souci konnte man schon feststellen, dass die Pflaster und Tapes auf den Beinen der Läufer immer mehr wurden und viele unter Krämpfen litten. 

Nun kam die nächste Durststrecke im wahrsten Sinne des Wortes. Die tropische Hitze schlug in dieser Zone, alles unter 1000 Metern Seehöhe liegend, gnadenlos zu. Manchmal schob sich eine Wolke vor die Sonne und diese Wohltat spürte man sofort. Es waren allerdings nur kurze Intervalle. Gleich nach Sans Souci war eine große Flussquerung zu machen (Rivière des Galets) , weiter ging‘s den Chemin Ratineau bis nach La Possession. Der Stein war dunkel und es gab eine entsprechende Wärmerückstrahlung vom Boden – wir waren auf dem 9 km langen Chemin des Anglaise, einer historischen Straße von La Possession nach Grand Chaloupe.

"Die Distanz war mir zu kurz"


In diesem Abschnitt musste ich enorm viel trinken und mitgebrachte Salzpackerl aus einem Flughafenrestaurant erfüllten hier ihren Zweck bestens. Einmal musste ich bei einem Haus anklopfen und den Besitzer fragen, ob ich mir nicht bei der Gartenwasserleitung die Flaschen nachfüllen dürfte. Er brachte freundlicherweise gleich gekühltes Wasser aus dem Kühlschrank. Colorado, der Berg mit der Satellitenkugel hinter St. Denis rückte näher – ganz wenige Höhenmeter fehlten nur noch. Und es war aus dem Plan ersichtlich:  Von dort an ging´s nur mehr runter ins Estade de la Redoute. Colorado-Check in war um 15:22 Uhr. Nun gab ich noch alles, was in den Speichern verfügbar war, die Schmerzen der gefüllten Blasen an den Füßen unterdrückend. Mit sicherem Schritt lief ich das stellenweise technisch recht anspruchsvolle Gelände runter, überholte noch 15 Leute und die Musik im Stadion wurde  für mich immer lauter.                                                                                                                                                          
Dann kam der große Moment: vor Freude tänzelnd lief ich hinein  - das erste Mal von meinen bisherigen Läufen von über 100 Kilometern bei Tageslicht – die Zuschauermenge genießend. Jürgen und Yvonne, die die Einlaufzeit etwa im Voraus berechnen konnten, waren hier und  machten Fotos. Ein großartiger Moment, als ich nach 42 Stunden, 12 Minuten und 42 Sekunden über die Ziellinie lief. Am letzten Streckenabschnitt von Colorado nach St. Denis hatte  ich knapp unter 50 Minuten gebraucht – der Gesamtsieger Francois D´Haene aus Frankreich 52 ½. Es war Platz 362 unter 2562 Gestarteten und der 4. Platz (unter 97 Gestarteten)  in meiner Altersklasse, den
Masters 3.


Gleich nahm mich der Platzsprecher unter die Fittiche und fragte mich nach meinem Empfinden.„Le course a été  trop court…“ , „die Distanz war mir zu kurz“, war meine spontane Antwort….; er verstand den Spaß nicht und wiederholte die Frage. Die wiederum gleich lautende Antwort meinerseits mit der Hinzufügung, dass ich gerne noch ein paar Kilometer laufen würde, weil ich eben schon so richtig drinnen wäre, stellte klar, dass wir uns gegenseitig richtig verstanden hatten – zur Gaudi der zahlreichen Zuschauer im Stadion.


Die Insel :


  • Gehört zu Frankreich (ein Département Outre-mer) und ist somit der südlicheste Teil der EU
  • Amtssprache ist Französisch
  • Mit seinen 2504 km2 etwa ¼ der Fläche von Oberösterreich
  • Es leben ca. 835 000 Menschen auf dieser Insel = 3 ½ fache Bevölkerungsdichte vom Österreich
  • Die Menschen dort sind ein Völkergemisch mit afrikanischen, indischen, arabischen und europäischen Einflüssen.
  • Hauptreligion ist das Christentum; ebenso sind Hinduismus, Buddhismus und der Islam vertreten; es gibt keine religiösen Konflikte.
  • Problem auf der Insel ist eine relativ hohe Arbeitslosigkeit, vor allem Jugendarbeitslosigkeit. Durch das französischen Sozialsystem wird dieses Problem teilweise abgefedert.

Der Lauf:


  •  Knapp 66 % Finisherquote. Sie liegt deshalb relativ hoch, weil eine eher großzügige Cut-Off Zeit gewährt wird, nämlich max. 66 Stunden.                                                                 
  • Wäre sie, so wie bei üblichen 100 Meilen-Ultratrails bei etwa 46 Stunden, so hätten gerade 603 Läufer(innen) gefinisht, also 23,5 %
  •         Der Bewerb wird in 3 Versionen angeboten: des „Mascareignes“ mit 65 km / 3500 HM, des „Bourbons“ mit 110 km/ 6433 HM und der Königsdisziplin, der „Diagonale des fous“ mit 167 km / 9700 HM

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