
Ein Alkoholiker, der zum "Rambo" wurde.
Andreas Ropins Weg zum Extremsportler.
Ein Porträt
von Gabriel Egger
Andreas' gerötete Augen öffnen sich nur langsam. Sie blinzeln unter der Bettdecke hervor, in die er sich vorsorglich eingewickelt hat. Sonnenstrahlen brechen durch die kleinen Fenster der Erdgeschoßwohnung, verstärken das Dröhnen in seinem Kopf. Der Nachmittag ist längst angebrochen. Für Andreas ist es der Weckruf weiterzuschlafen. Aber zuerst der Griff zum Tetra Pak. Es ist der dritte Liter Wein, den er heute mit Leitungswasser mischt. Zwischen vollgestopften Aschenbechern und aufgerissenen Lebensmitteln stapelt sich das Leergut. Bier, Wein, Schnaps- alles, was die Realität verschwimmen lässt. Andreas nimmt einen kräftigen Schluck, leert den halben Karton. Er wartet bis das Wurschtigkeits-Gefühl einsetzt, bis ihm das, was er tut, wieder normal erscheint. Dann beginnt das Spiel von vorne.
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Das alte Leben, Foto: privat |
Sieben Flaschen Bier und sechzig Zigaretten am Tag. Das war die übliche "Dosis", auch während seiner Ausbildung zum Stahlbauschlosser. Alkohol wurde zum Lebensinhalt, dominierte seine Gedanken, beeinflusste sein Handeln.
"Dir wird einfach alles egal. Wenn mich die Arbeit nicht mehr gefreut hat, hab ich sie geschmissen" sagt Ropin, der nicht selten bei seinen damaligen Freunden um flüssige Almosen bat. Seine Freizeit verbrachte er in den Kneipen der Ortschaft, in denen er auch putzte, um sich seine Räusche zu finanzieren. Mit 25 hatte er seinen persönlichen Tiefpunkt erreicht: arbeitslos, dauerbetrunken, perspektivenlos. Der Versuch der legalen Droge den Rücken zu kehren scheiterte nach sechs Wochen. Dem kurzen Hoch folgte das lange Tief.
Erst mit 28 Jahren schloss sich der vermeintliche Teufelskreis. Sein Vater, mit dem er einst den Drang nach der Flasche teilte, nahm ihn mit zu einer Selbsthilfegruppe. "Den siebenten Februar 2007 werd' ich nie vergessen. Es war der Beginn meines zweiten Lebens" erzählt er. "Fünf Wochen später hab ich dann auch das sinnlose Rauchen gelassen". Wenn Andreas über die vergangenen neun Jahre spricht, klingt seine Stimme hell und freudig, fast euphorisch. Man merkt, wieviel ihm der Wandel bedeutet und welche Kräfte er geweckt hat.
Einmal Mount Everest und Retour
Dass es ein kaputtes Rad war, das den Steirer in Richtung Extremsport trug, wirkt vorerst wenig heroisch, hat aber den speziellen Charme, den Andreas versprüht. "Du musst als Alkoholiker mit deinen ganzen Gewohnheiten brechen. Ich hab mir eingestanden, dass ich ein Problem hab und dass ich es lösen will. Also war Schluss mit Kneipentouren und auch die alten Freunde hab' ich links liegen lassen. Da war ich ohnehin nimma' da lässige Andi, weil ich kein Bier mehr gsoffn hab' " schildert der Sportler die ersten Wochen der Abstinenz. Um sich abzulenken, bastelte er sich aus alten, verschlissenen Rädern, die im Keller des Miethauses ihr belangloses Dasein fristeten, ein Mountainbike und fuhr aus. Zuerst über die Hügeln seines Heimatortes ,später 220 Kilometer zu seinem Onkel nach Niederösterreich. Aus der langjährigen Trägheit wurde Bewegungsdrang. Der Vormittag gehörte bald dem Rad und der Arbeit, der Nachmittag seinen Füßen, die ihn laufend durch die Täler der Steiermark brachten.
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Berg(l)auf!, Foto:mmarts |
Unter dem Pseudoynm "John J Rambo", frei nach dem von Sylvester Stallone verkörperten Vietnamkriegsveteranen, rief er 2011 die Aktion "Einmal Mount Everest und Retour" ins Leben. Ziel war es, seinen Hausberg in Bruck, das 1.629 Meter hohe Rennfeld, innerhalb von 24 Stunden achtmal zu besteigen.
Aus steigen musste freilich laufen werden, um im engen Zeitplan zu bleiben. Ropin sprang schon beim ersten Versuch über die selbstgestellte Hürde und bewerkstelligte die 8.848 Höhenmeter in etwas mehr als 23 Stunden. "Es war hammergeil. Ich hab' symbolisch mit dem Alkohol und dem ganzen Dreck abgeschlossen. Ich bin da oben gestanden und hab' geweint. Die Berge haben mir das Leben gerettet" sagt Ropin.
Auch wenn sich die Worte des Bruckers lesen, wie gelernte Phrasen, gesprochen wirken sie ehrlich und echt. Andreas ist dankbar für die Momente, die er sich selbst schenken kann. Stolz, zufrieden und ohne jegliche Scham erzählt er über sein Leben. Er genießt die Höhen, Tiefen hat er schon genug erlebt.
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Ropin in seinem Element, Foto:mmarts |
Genau deshalb probierte er sich 2012 mit identer Idee am Hochschwab (2.277m)- und scheiterte. Der Nebel ließ nach sieben Besteigungen und 10.000 Höhenmetern keine Fortsetzung der Erfolgeschichte zu. Teil zwei ist eben nie so gut wie der erste.
"Giftzwerg, häng dich doch einfach auf"
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Ropin's "Laufgelände", Foto: privat |
Im Juli 2015 setzte Ropin sein Vorhaben in die Tat um. "Ich hab zu meiner Frau Julia gesagt, dass das Wetter jetzt perfekt ist und dass ich jetzt einfach fahren muss. Sonst werd ich' ewig granteln" beschreibt der Steirer den Tag der Abreise. Sie solle doch bitte nicht böse sein, weil morgen sei er wieder frisch und munter zurück.
Tausende Bergsteiger steigen jährlich die Hänge des "weißen Berges" bei Chamonix in Frankreich empor. Steigeisen und Pickel gehören dabei genauso zur Grundausrüstung, wie die Übernachtung auf einer der modernsten Hütten der Alpen zum Usus geworden ist. Ein Geheimtipp ist der Berg nicht, allein ist man nur bei Wind und Wetter. Andreas' Annäherung an den höchsten Berg Europas (4.810m) allerdings hatte nicht diese Routine. Sie war einzigartig.
Nach einer zehnstündigen Autofahrt von Bruck an der Mur nach Les Houches (etwa 1000 Kilometer), einem Ort am Fuße des Berges, sechzig Kilometer entfernt von Genf, lehnte er sich erstmal zurück- und zwar buchstäblich. Der Sitz seines Autos wurde für die nächsten vier Stunden sein Ruhepol, bis er sich in Laufschuhen, kurzer Hose, Haube und Handschuhen zum Gipfelsturm aufmachte. Der einzige Luxus blieb die Sonnenbrille.
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Andreas Ropin am Gipfel des Mont Blanc, Foto:privat |
"Ich halte wenig von Regeln des Alpinismus. Ich mach es so, wie ich es gern machen will. Auf Biegen und Brechen muss ich ja sowieso nirgends rauf. Das ist Schwachsinn. Wenn's nicht geht, geht's nicht. Da sind mir dann auch die tausend Kilometer Fahrt wurscht" erklärt Ropin seinen Minimalismus.
Doch es ging. In sechs Stunden bewältigte der Extremsportler die Strecke vom Ortszentrum in Les Houches (1.008m) auf den Gipfel des Mont Blancs (4.810m) und war die Attraktion des Tages. "Freilich haben's mich alle gefragt ob ich deppert bin. Aber ich hab nur gelacht. Nicht weil ich mich überlegen gefühlt habe, sondern weil ich so verdammt glücklich war".Zwei Grad habe es in etwa gehabt, kalt sei ihm vor lauter Freude aber nicht gewesen. Nach einem Rundumblick über Europa, ging es im Eiltempo wieder zurück zum Auto. Drei Stunden und vierzig Minuten später, nach 42 Kilometern und 4140 Höhenmetern, durfte er die ganz besondere Hochtourenausrüstung wieder gegen Alltagskleidung tauschen und steuerte umgehend die Steiermark an. "Ich hab's meiner Frau ja versprochen, dass ich sie am nächsten Tag wieder in den Arm nehme"
Doch nicht alle freuten sich mit dem Steirer. Hassbotschaften erreichten Ropin. Einmal per Mail, ein andermal als Flugzettel auf der Windschutzscheibe. Aufhängen solle er sich, ein kleiner Giftzwerg sei er, der nichts könne außer laufen und den Daumen in die Höhe strecken. Für den Extremsportler kein Grund wütend zu sein: "Es ist schade, dass sich Leute nicht mit einem freuen können, aber wütend oder traurig bin ich deswegen nicht. Ich seh' das eher als Motivation. Sie machen sich Gedanken über das, was ich tue. Und ich werd weitermachen, also bin wohl ich der Gewinner" lacht er.
Absturz vom Grat
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Laufende Anreise |
Andreas Ropin ist kein Bergsteiger. Er ist aber auch kein Läufer und kein Wanderer. Der 37-Jährige hat sich seine eigene Sparte geschaffen, vielleicht sogar seine eigene Welt. Er setzt dort an, wo andere aufhören. Die Eigeninitativen sind genauso durchdacht, wie komplex. Die einzige Konstante bleibt der Berg. Was er mit ihm macht, ändert sich wöchentlich. Ob er damit nicht genau das verkörpert, was Pioniere des Alpinismus immer gepredigt haben? Unbefangenheit, Starrsinnigkeit, Mut, Spontanität und ein gewisses Maß an Masochismus. Oder ist er einfach einer von vielen, der auf der hohe Welle des Trailrunningtrends reitet? Vielleicht ist aber eine Einordnung einfach nicht möglich, auch das ist denkbar.
Eines aber ist gewiss: Sein Lebenwandel weiß zu beeindrucken, bei den Leistungen bedarf es ohnehin keinem Urteil. Würde er seine Geschichte zu Papier bringen, sie wäre Standardliteratur in jeder Besserungsanstalt. Ropin selbst aber will nicht läutern, er will motivieren, will Vorbild sein für Menschen, die keinen Ausweg mehr sehen. Er selbst fühlte sich lange genug von der Gesellschaft gedemütigt und verlassen- wie Rambo. Anders als sein Alter Ego , schaffte er den Weg zurück nach oben.
Für das kommende Jahr hat der Steirer schon wieder konkrete Pläne. Verraten möchte er nichts, außer, dass es wieder sehr hoch und sehr lange wird. Bei drei großen Wettkämpfen möchte er sich mit der Konkurrenz messen (Pitztal, XAlps, Zugspitz) Auch, wenn er mit der traurigen Geschichte des verzweifelten Kriegsveteranen Rambo gar nicht so viel gemein hat, wie es den Anschein macht, bleibt dem Autor am Ende nur übrig seiner sportlichen Konkurrenz ein Filmzitat in den Mund zu legen:
"Wir jagen ihn, nicht wahr?" - "Nein, wir jagen ihn nicht. Er jagt uns."
ANDREAS "RAMBO" ROPIN LIVE 2016
Wer den Steirer selbst über seine Erfahrungen sprechen hören möchte, hat im kommenden Jahr mehrere Möglichkeiten:
- 21. Jänner 2016: Turmwirt, Mürzhofen
- 19. Februar 2016: Dachbodentheater, Bruck an der Mur
- 17. März 2016: Stadtsaal Trofaiach, Trofaiach
- 20. April 2016: Wintersportmuseum, Mürzzuschlag
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Der Rambo unter den Bergläufern, Foto:mmarts |
Alle weiteren Informationen finden Sie unter: www.ropin-andreas.at
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